Auch wenn sich politiktheoretische Vorlesungen an der Universität Leipzig bis in das Jahr 1410 zurückverfolgen lassen, ist das heutige Institut für Politikwissenschaft ein Ergebnis und Gewinn der „Wendezeit“. In diesem Zeitraum wurde das Verhältnis der Politik zur Philosophie, Geschichte, Jurisprudenz und Ökonomie immer wieder neu ausgehandelt. So wurde beispielweise im 19. Jahrhundert eine starke Bindung zur Nationalökonomie vorangetrieben. Ein Bruch mit den Wissenschaftssystemen der totalitären Regimes des 20. Jahrhunderts erfolgte dann mit der Gründung des Instituts im Jahr 1993.
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Schon 1410 wurde an der Universität Leipzig die erste Vorlesung gehalten, die sich dem Thema Politik widmete. Seither hat die wissenschaftliche Beschäftigung mit Politik an der Universität Tradition. 1745 verwendete Georg Heinrich Zincke, Professor für Kameralwissenschaften an der Universität Leipzig, erstmals den Begriff „Staatswissenschaften“. Wissenschaftler in den Disziplinen Statistik, Geschichte, Soziologie, Nationalökonomie und Staatsrechtslehre erforschten politische Zusammenhänge und bemühten sich darum, Politik zu rationalisieren. Während der politischen Umbrüche im 19. Jahrhundert lehrte in Leipzig bereits eine ganze Reihe von Universitätsprofessoren zu wissenschaftlicher Politik. Ein eigenständiges Fach entstand jedoch erst später.
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Die 1907 in Leipzig gegründete Zeitschrift für Politik war ein wichtiger Katalysator für die Entwicklung der Politikwissenschaft. Aber auch politische Interessen förderten die Etablierung des Fachs. Dem Antrag des Dekans der Juristenfakultät Richard Schmidt auf Gründung eines Instituts für politische Auslandskunde folgte das sächsische Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts 1923. Anfang des 20. Jahrhunderts etablierte sich in Leipzig ein Netzwerk aus Wissenschaftlern, die die Idee einer sozialwissenschaftlichen Staatslehre entwickelten. Wichtig für diese Konzeption war insbesondere Hermann Heller, der als einer der Begründer der Politikwissenschaft in Deutschland gilt und diese Konzeption später unter anderem an der Deutschen Hochschule für Politik in Berlin überregional verbreitete.
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Prägend für die Herausbildung der Politikwissenschaft als eigenständige Wissenschaftsdisziplin waren wechselnde politische Einflüsse von außen. Bereits früh hatte ein Zielkonflikt zwischen Anhängern einer emanzipierten Wissenschaft, die unabhängig beobachtet, und jenen, die eine praxisorientierte Nähe zur Politik suchten, die Entwicklung der Politikwissenschaft geprägt. Dieser Zielkonflikt blieb bestehen. Wissenschaftler und Studierende trugen selbst aktiv nicht nur zur Etablierung der Disziplin Politikwissenschaft, sondern auch zur Etablierung und dem Bestand unterschiedlicher politischer Systeme bei – ein Umstand, der zur kritischen Betrachtung der eigenen Rolle von Wissenschaft und Universität verpflichtet. Dies betrifft beispielsweise das Wirken Richard Schmidts an der Universität Leipzig, die Zeit des Nationalsozialismus und der DDR.
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Das Institut für Politikwissenschaft der Universität Leipzig in seiner jetzigen Form wurde am 3. Dezember 1993 gegründet. Vorsitzender der Gründungskommission war Prof. Dr. Wolfgang Schluchter (Universität Heidelberg), den die Universität Leipzig 1993 mit der Caspar-Borner-Medaille ehrte.
- Dieter Koop: Politikwissenschaft, in: Ulrich von Hehl/Uwe John/Mandfred Rudersdorf: Geschichte der Universität Leipzig 1409 – 2009, Band 4, Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2010, S. 826 – 845.
- Dieter Koop: Wissenschaft und Politikverständnis im Wissenschaftlichen Kommunismus, in: Michael Th. Greven und Dieter Koop (Hrsg.): War der Wissenschaftliche Kommunismus eine Wissenschaft? Vom Wissenschaftlichen Kommunismus zur Politikwissenschaft, Opladen: Leske und Budrich 1993, S. 35 – 48.
Am 2. Dezember 2013 feierte das Institut für Politikwissenschaft sein 20jähriges Gründungsjubiläum mit einem bunten Programm, zahlreichen Gratulanten und Gästen. Das Jubiläum startete mit einer Begrüßung durch die Dekanin Monika Wohlrab-Sahr sowie Institutsdirektorin Astrid Lorenz. Gründungsdekan Wolfgang Schluchter, Emeritus am Max-Weber-Institut für Soziologie der Universität Heidelberg, pustete die Kerzen der Geburtstagstorte aus.
Den Auftakt der Einzelveranstaltungen bildete die Podiumsdiskussion „Leipzig – Die Wiege der modernen deutschen Politikwissenschaft“. Neben Dieter Koop, Mitarbeiter des Institutes, diskutierten Noemi Dedring, Matthias Hasenjäger und Bastian Lindert, Mitglieder einer Lehrforschungswerkstatt von Astrid Lorenz, die auch eine Ausstellung zum Thema gestaltet hatten. Danach debattierten zur Frage, ob die Transformation der Universität Leipzig und speziell des Instituts für Politikwissenschaft eine unvollständige Kolonialisierung war, Jörg Mathias, einer der ersten Alumni und heute Senior Lecturer in Politics and International Relations der University of Aston, Birmingham, Wolfgang Schluchter (Universität Heidelberg), Hartmut Elsenhans, Dieter Koop, Heidrun Zinecker und Hannes Warnecke (alle Universität Leipzig).
„Wer schweigt, stimmt zu!“, hieß der Film zur studentischen Mitbestimmung, den der Fachschaftsrat Politikwissenschaft vorstellte. Darin kamen Studierende und Mitarbeiter des Instituts zu Wort. Ebenfalls ein studentisches Projekt ist die Zeitschrift Powision, die sich vielen Interessierten vorstellte.
Am Nachmittag folgte eine Podiumsdiskussion zum Thema „Polizei im Wandel – Staat im Wandel?“ mit Bernd Merbitz (Polizeipräsident der Polizeidirektion Leipzig), Wolfgang Fach und Rebecca Pates (Universität Leipzig).
Das letzte Panel ließ in einer Mischung aus autobiografischem Rückblick und wissenschaftlicher Deutung die Forschung zu politischen Systemen Revue passieren. Mit der Frage „Alles entgrenzt?“ befassten sich Ellen Bos, Leiterin des Donau-Institutes an der Andrássy-Universität Budapest, Gert-Joachim Glaeßner von der Humboldt-Universität, Gert Pickel von der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig und Astrid Lorenz vom Institut für Politikwissenschaft.
Die Verlosung von Bücherpaketen an Studierende und ein gemeinsamer Ausklang im benachbarten Restaurant rundeten das Jubiläum ab.