Werner Früh, geboren 1947 in Gönnheim an der Weinstraße, studierte nach einer Ausbildung zum Fernmeldemonteur an der Universität Mainz Publizistik, Soziologie, Germanistik und Deutsche Volkskunde. In die Mainzer Publizistik zogen ihn und seinen Kommilitonen, Freund und späteren Kollegen Klaus Schönbach vor allem die empirischen Forschungsseminare von Elisabeth Noelle-Neumann, als deren studentische Hilfskraft seine wissenschaftliche Karriere begann. Promoviert wurde er 1978 allerdings nicht bei Noelle-Neumann, sondern bei ihrem Assistenten Winfried Schulz. In seinem Dissertationsprojekt untersuchte Werner Früh den Einfluss verschiedener Textmerkmale auf die Verständlichkeit und Attraktivität dieser Texte für Leser. In der Experimentalstudie wurden drei journalistische Korrespondentenberichte in jeweils 33 Versionen variiert und 1.632 Versuchspersonen präsentiert – als empirisches Mammutprojekt ein Vorgeschmack auf das, was kommen sollte.
Ab 1978 leitete Früh die Abteilung für Textanalyse, Medienanalyse und Vercodung beim Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen (ZUMA, heute GESIS) in Mannheim, nahm aber bereits Lehraufträge an verschiedenen Universitäten wahr. Außerdem publizierte er in dieser Zeit die erste Auflage des späteren Standardwerks zur Methode der Inhaltsanalyse (zuletzt in 8. Auflage 2017, zuerst 1981 erschienen) und gemeinsam mit Klaus Schönbach die Grundlagen des dynamisch-transaktionalen Ansatzes (1982 und 1984), dessen Hauptziel es war, den Dualismus von Rezipienten- und Medienorientierung bei der Beschreibung und Erklärung medienkommunikativer Prozesse zu überwinden. Der „DTA“ wurde zunächst als neues Modell zur Erklärung von Medienwirkungen eingeführt, aber insbesondere von Werner Früh über Jahrzehnte hinweg in weiteren Publikationen zu einem umfassenden metatheoretischen Ansatz ausgearbeitet, der in der deutschsprachigen Kommunikationswissenschaft breit rezipiert und diskutiert wurde.
1987 wurde er auf die Professur für angewandte Kommunikations- und Medienforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München berufen. Ab 1994 war Werner Früh schließlich Inhaber des Lehrstuhls für empirische Kommunikations- und Medienforschung I am Leipziger IfKMW. Er gehörte damit zur ersten Generation von Hochschullehrern an unserem nach der Wende neu (wieder-) gegründeten Institut. Sein Lehrstuhl bildete zusammen mit der bereits 1993 eingerichteten Professur von Hans-Jörg Stiehler die „Abteilung Empirie“, die in den Studiengängen des Instituts die Methodenausbildung verantwortete sowie die Medienwirkungs- und Nutzungs- bzw. Publikumsforschung vertrat. Daneben war Werner Früh wiederholt geschäftsführender Direktor des Instituts und langjähriges Mitglied und Vorsitzender der Promotionskommission der Fakultät. Sein 65. Geburtstag und der bevorstehende Ruhestand waren Anlass für ein Ehrenkolloquium im Herbst 2012 und eine daraus hervorgegangene Festschrift (Stiehler, Hagen, Frey, Koch & Faust [Hg.], 2015), im April 2013 verabschiedete das Institut ihn in den Ruhestand.
Als Wissenschaftler hat Werner Früh die deutsche Kommunikationswissenschaft mit methodischen und theoretischen Schlüsselwerken vorangebracht. Sein bereits genanntes Lehrbuch zur Inhaltsanalyse und die Arbeiten zum dynamisch-transaktionalen Ansatz waren Projekte, die ihn über die gesamte wissenschaftliche Laufbahn hinweg begleiteten. Daneben wandte er sich nacheinander einigen „großen“, seiner Ansicht nach unterbelichteten Themen des Fachs zu und bearbeitete sie theoretisch originell, empirisch aufwändig und meist mit gewichtigem monographischem Ergebnis. Im Kontext des für die deutsche Kommunikationswissenschaft einflussreichen DFG-Schwerpunktprogramms „Publizistische Medienwirkungen“ entstand seine Studie zur „Realitätsvermittlung durch Massenmedien“ (1994). Weitere größere Projekte widmeten sich den Themen Infotainment (Früh & Wirth, 1997), mediale Gewaltdarstellungen (Früh, 2001), Unterhaltung (Früh, 2002; Früh & Stiehler, 2003) und Narration/Storytelling im journalistischen Bereich (Früh & Frey, 2014). In einer Reihe von Studien widmete sich Früh außerdem gemeinsam mit Hans-Jörg Stiehler der Darstellung von Ostdeutschland im Fernsehen und der Fernsehnutzung der Ostdeutschen (Früh, Hasebrink, Krotz, Kuhlmann & Stiehler, 1999; Früh & Stiehler, 2002; Früh, Stiehler, Früh & Böttcher, 2011).
Als Hochschullehrer hat Werner Früh mit seinen hohen Ansprüchen die Studierenden herausgefordert. Diejenigen, die sich dieser Herausforderung in Projektseminaren für fortgeschrittene Semester stellten oder in gemeinsamen Forschungsprojekten mit ihm zusammenarbeiteten, beeindruckte und prägte er mit seiner Faszination für die großen und schwierigen Themen, seinem Willen zur Komplexität, seiner Kreativität und Originalität beim „Theoretisieren“, seinem Blick für die „Logik der Beweisführung“, für die Kohärenz der Argumentation und für Schwachstellen eines empirischen Forschungskonzepts, seiner Offenheit für das bessere Argument und mit seiner Entschlossenheit, so lange weiter zu machen, bis es „gut“ war (besser wurde es nicht). Davon profitierten auch seine wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, möglicherweise ächzten sie auch hin und wieder darunter. Ihnen hat er großen Freiraum gelassen, freute sich aber auch über intensive Zusammenarbeit, wenn sich Forschungsinteressen trafen.
Wir erinnern uns an einen zurückhaltenden Menschen, ruhig und unaufgeregt im Ton, klar und pragmatisch in der Sache und mit einem verschmitzten Humor – all dies findet sich auch in seiner wissenschaftlichen Prosa und prägte neben seiner Begeisterung für originelle Theorieentwicklung und empirisch-methodologische Akribie seinen persönlichen und wissenschaftlichen Stil. Mit Hans-Jörg Stiehler teilte Werner Früh die Leidenschaft für die Bildende Kunst, der er sich im Gartenatelier seines Bad Dürkheimer Wohnhauses widmete und die er in einer gemeinsamen Ausstellung mit Hans-Jörg Stiehler 2006 der Öffentlichkeit präsentierte. Als ehemalige Kolleginnen und Kollegen, Mitarbeitende und Studierende werden wir Werner Früh in ehrenvoller und warmherziger Erinnerung behalten. Unser Mitgefühl gilt seiner Familie.
Im Namen des Instituts
Prof. Dr. Markus Beiler
Geschäftsführender Institutsdirektor